Interview mit Sirius Kestel zum Hörspiel "5 nach 8"

04. September 2019

 

"Fünf nach acht" ist eine ganz neue und ganz andere Hörspiel-Produktion von Sirius Kestel und Diddi Meyer.  Ein Hörspiel mit viel Anspruch und einer ganz besonderen Inszenierung. Ich freue mich, dass mir Sirius Rede und Antwort stand. 

 

Sirius Kestel, Foto von Christian Neuberger
Sirius Kestel, Foto von Christian Neuberger

 

Hallo Sirius,

wenn ich richtig informiert bin, bist du seit knapp elf oder zwölf Jahren in Sachen Radio, Akustik und Hörspiel aktiv. Ist das richtig?

Tatsächlich sogar schon seit 15 Jahren. Ich kam mit elf in eine Jugendradioredaktion und fing drei Jahre später an mein erstes Amateurhörspiel zu realisieren.

 

Wie kommt man denn mit elf Jahren zum Radio? Bei den meisten ist in dem Alter Fußball oder ähnliches doch viel angesagter? Gibt es da einen familiären Hintergrund?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte als Kind bereits früh angefangen viel zu lesen, Kassetten zu hören und an alten Computern zu basteln. Mit acht Jahren bin ich dann nach Fürth umgezogen und diese Hobbys kamen bei meinen neuen Klassenkameraden nicht ganz so gut an, weshalb ich viel Zeit im städtischen Jugendmedienzentrum verbracht hatte. Dort wurde auch eine Jugendradiosendung produziert und das hat mir sehr schnell Spaß gemacht, weshalb ich bis zu meinem 18. Lebensjahr letztlich dabei blieb.

 

Dann war der Schritt zu deinem Projekt „Hörwelle“, das du 2008 ins Leben gerufen hast, ja nicht mehr weit.

Tatsächlich nicht. Zum einen machte mir der Umgang mit Tontechnik, das Schneiden von Beiträgen am Computer, etc. sehr viel Spaß, zum anderen waren meine Betreuer im Jugendradio unter anderem die Macher der Hörspielserie “Cassandras Run” und es fand jährlich in der Stadt das Hörfestival “HörtHört” statt, wo junge Hörspielmacher ausgezeichnet wurden. Das war cool und ich hatte auch Lust und ich hatte viel Unterstützung durch das Medienzentrum.

 

Magst du uns etwas zu deinem ersten Hörspiel Der Schrecken von Yucatan erzählen?

Ja, das war dann unsere erste Amateurproduktion unter dem Namen “Hörwelle”. Wie Jugendliche das halt so machen, eine flotte Abenteuergeschichte mit einem Goldschatz, wir sprechen natürlich die coolen Hauptrollen selber und haufenweise knallige Soundeffekte.

 

Dafür gab es dann auch Preise, oder?

Ja, auf dem eben erwähnten “HörtHört Festival”. Das hat uns damals dann natürlich sehr motiviert.

 

Das bestätigt einen sicherlich, im Hörspiel-Sektor weiter zu machen. Ich nehme an, jetzt warst du so richtig angefixt? Weitere Hörspiele wurden produziert und wurden erneut ausgezeichnet. 

Wir haben mit Hörwelle weitergemacht, ich wollte immer weiter und immer größere Hörspiele produzieren. Ich fing an mich mit der Szene zu vernetzen, bessere Sprecher, Musiker, etc. zu finden und mich noch intensiver mit Sounddesign und Tontechnik zu beschäftigen.

Auch wenn es immer noch Amateurproduktionen waren so wurden die Hörspiele mit der Zeit doch ein klein wenig besser und erwachsener. Wir haben diverse unkommerzielle Wettbewerbe gewonnen, aber meine größte Freude war es damals den zweiten Platz im ARD Hörspielwettbewerb zu belegen.

 

Zu Anfang hast du da alles gemacht, auch selber gesprochen und geschrieben. Wie kam es, dass du dich dann immer mehr ans Mischpult "zurückgezogen" hast? 

Ich habe mich nicht zurückgezogen, sondern in erster Linie professionalisiert. Ich habe mit der Zeit erkannt, dass mir die Arbeit als Sounddesigner und Tonmeister am meisten Spaß macht und dass ich mich in dem Bereich auch am besten weiterentwickeln kann. Ich liebe die Verbindung von Kunst und Technik, die dieser Beruf mit sich bringt.

 

Und inzwischen machst du nicht nur Hörspiele sondern bist vornehmlich als Filmtonmeister in der Filmszene- und Werbefilmszene aktiv?

Richtig. Neben den Hörspielen hatte ich mit circa 16 Jahren auch angefangen Amateur- und Hochschulfilme zu vertonen. Das hat mich dann so richtig gepackt und je mehr ich mich mit der Filmbranche beschäftigt habe wusste ich, dass ich dort arbeiten möchte. Über Umwege habe ich es dann letztlich geschafft an der grandiosen Filmakademie Baden-Württemberg aufgenommen zu werden und habe diesen März mein Diplom als Filmtonmeister & Sounddesigner abgeschlossen.

 

Oh, cool. Herzlichen Glückwunsch dazu noch.
Aber jetzt mal endlich zu deinem aktuellen Hörspiel „Fünf nach acht“, welches du gemeinsam mit Diddi Meyer erschaffen hast. Magst du uns hierüber etwas mehr verraten?

Gerne. Auch wenn ich hauptsächlich in der Filmindustrie arbeite hat mich Hörspiel nie ganz losgelassen und dann habe ich beim Datensichern zufällig eine alte Konzeptidee von mir wiedergefunden. Ich fand sie interessant und dachte mir, dass es möglich wäre mit meinen neu erlernten Fähigkeiten und dem richtigen Team da etwas richtig cooles draus zu zaubern. Ich rief also Diddi Meyer an, wir haben bei mehreren Kurzfilmen und Theaterprojekten zusammengearbeitet, und fragte ihn ob er sich vorstellen könnte daraus eine Geschichte zu schreiben. Ich kannte seinen Schreibstil und wie er arbeitet, er hatte zwar noch nie an einem Hörspiel gearbeitet, aber ich dachte, dass das ziemlich interessant werden könnte. Er hat dann ein Script geschrieben, an dem wir über ein halbes Jahr lang gearbeitet haben.

Unser Ziel war es ein Hörspiel zu produzieren, komplett losgelöst von dem wie es andere es machen. Ohne uns als Gegenpool oder Konkurrenz zu sehen, wir wollten einfach ein Hörspiel produzieren so wie wir es gerne hören würden. Ein Hörspiel, dass aber vielleicht auch Hörer anspricht, die bisher von sich behauptet haben mit Hörspielen nichts anfangen zu können.

 

Nach welchen Kriterien habt ihr denn die Sprecher ausgewählt? 

Wir wollten nicht unbedingt mit klassischen Schauspielern oder Synchronsprechern arbeiten, sondern eher mit guten Schauspielern.

Ich habe eine sehr lebhafte Fantasie, wenn ich mir gute Drehbücher durchlese habe ich direkt den Film vor Augen, inklusive der Schauspieler und das waren dann bei “5 nach 8” eben Sven Gielnik und Tobias Häusler. Ich kenne beide und hielt sie für die Idealbesetzung. Als ich sie dann Diddi zeigte war er auch sofort begeistert.

Durch meine Arbeit in der Film- und Hörspielbranche kenne ich zum Glück viele Stimmen und Personen, ich habe Diddi daher einige Vorschläge geliefert und zusammen haben wir die finale Besetzung festgelegt.

Wir wussten eigentlich immer was für einen Typ Stimme wir möchten und haben dann entsprechend gesucht. Beispielsweise wollten wir für die Rolle des “Oli” jemanden “der so klingt wie Neville Longbottom”, bis wir irgendwann daran gedacht haben einfach mal seinen Synchronsprecher anzufragen.

 

Wart ihr euch in Sachen Besetzung gleich einig?

Nicht immer auf Anhieb, aber Diddi und ich haben das Talent uns gegenseitig gut zu überzeugen, aber auch vom anderen überzeugen zu lassen.

 

Und wie seid ihr auf dieses doch sehr anspruchsvolle Thema gekommen?

Wie schon erwähnt kommt die Grundidee von mir, aber lediglich die grobe Hülle, Diddi hat sie dann mit Inhalt gefüllt und “5 nach 8” zu der Geschichte gemacht, die sie jetzt ist. Er hat sich dabei unter anderem von der Existenzphilosophie Søren Kierkegaards, von Dostojewski oder auch Freud inspirieren lassen. Aber natürlich stecken auch eigene Erfahrungen und Erlebnisse darin, sowie Betrachtungen gesellschaftlicher Situationen und Problematiken, mit denen Leute unserer Generation konfrontiert werden.

 

Hören Leute, die dich gut kennen, aus dieser Produktion deine Radio-Vergangenheit heraus? Oder anders gefragt, ist der Blick hinter die Kulissen eurer fiktiven Radio-Show, den der Hörer in den Musikpausen erhält, sehr realistisch? 

Ich würde sagen ja. Dafür habe ich Diddi sehr viel von meiner Radioarbeit erzählt und ihn bei den Szenen eng beim Schreiben begleitet. Wir haben uns aber auch zusätzlich mit einem Radiomoderator getroffen und ihn ausführlich befragt. Außerdem hat unser Sprecher Tobias Häusler ja selbst beim Radio gearbeitet und konnte dieses Wissen in seine Rolle mit einfließen lassen.

 

Habt ihr intern viel über das Ende von „Fünf nach acht“ diskutiert oder wart ihr euch diesbezüglich gleich einig?

Da waren wir uns sogar tatsächlich ziemlich schnell einig. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, das würde zuviel verraten.

 

Aus deinen Antworten höre ich raus, dass du es gerne ab vom Mainstream magst. Finde ich gut. Hast du schon eine Ahnung, ein Gefühl wie die Hörspiel-Szene auf eure Produktion reagieren wird. Leichte Kost wird ja in der Regel oft etwas schneller aufgenommen…

Ich habe keine Ahnung, bin aber umso mehr gespannt. Uns ist natürlich bewusst, dass wir nicht den leichtesten Start haben werden, aber das haben wir ja auch irgendwie selbst heraufbeschworen. Allein schon weil wir eine abgeschlossene Einzelgeschichte präsentieren und Hörspiel in Deutschland eher von Fortsetzungsgeschichten lebt, dazu dann noch Sprecher die bestimmt nicht jedem Hörer sofort ein Begriff sind.

Aber wir hoffen auch, gerade durch diese Geschichte, mit “5 nach 8” Hörer zu erreichen, die sich sonst nicht so sehr mit Hörspiel beschäftigen, die gerne Weltliteratur lesen, anspruchsvollere Filme schauen, etc. Dennoch möchten wir uns nicht von der Hörspielszene abgrenzen und ich bin echt gespannt wie eingefleischte Kassettenkinder darauf reagieren werden.

 

Hast du eigentlich Angst vor Kritik oder beflügelt dich diese eher?

Kritik ist die beste Möglichkeit eigene Fehler zu erkennen und sich weiterzuentwickeln, von daher freue ich mich über jede Rezension zu “5 nach 8”. Geschmäcker sind verschieden und uns ist klar, dass unser Hörspiel nicht jedem gefallen wird, aber wir versuchen aus jeder Kritik das Beste für uns mitzunehmen.

 

Also werden auch deine nächsten Produktionen immer eher im anspruchsvolleren Bereich angesiedelt sein?

Zunächst einmal muss ich, müssen wir erst einmal jemanden finden, der überhaupt bereit ist solche Produktionen zu finanzieren, Ideen sind aber auf jeden Fall da. Ob meine nächste Produktion wieder eine überaus anspruchsvolle werden wird kann ich noch nicht sagen, ich kann nur garantieren, dass es wieder etwas werden wird, womit wohl keiner von mir rechnet.

 

Schließen sich deiner Meinung nach Action und Anspruch in einem Hörspiel gegenseitig aus?

Überhaupt nicht. Trotz allem Tiefgang hat auch “5 nach 8” einen Unterhaltungsanspruch. Nur träge Ernsthaftigkeit oder stumpfe Action alleine finde ich langweilig, aber die Spannweite dazwischen ist groß. Auch wenn eine Actiongeschichte vielleicht nicht mit dem innovativsten Plot aufwarten kann, so kann man doch viel Tiefgang durch die Dialoge, zwischenmenschliche Beziehungen oder die Entwicklung der einzelnen Personen erzeugen, darauf lege ich großen Wert.

 

Welche Hörspiele hörst du privat? Oder anders gefragt, was ist dir bei einer Hörspiel-Produktion besonders wichtig?

Ich muss offen zugeben, dass ich mich mit der steigenden Leidenschaft zum Film erst einmal komplett vom Hörspiel abgewendet hatte. Ich bin mit Kassetten und später CDs der Fünf Freunde, TKKG und ??? aufgewachsen, habe daran in der Pubertät jedoch wieder nach und nach das Interesse verloren. Ich habe dann eher Hörspiele wie “Schrei der Angst” oder diverse Lauscherlounge Produktionen gehört. Irgendwann störte mich, dass viele Hörspiele nach der gleichen Erzählstruktur funktionieren, manche Sprecher overacten und das oftmals unrealistische Sounddesign. Vor allem aber die fehlende Innovation, es gab einfach nichts was so klingt wie ein Hollywood-Film. Im Film hingegen habe ich immer neue Inspirationen entdeckt, konnte in 5.1- oder 7.1-Surround abmischen und so weiter.

Mit Beginn der Arbeit an “5 nach 8” habe ich jedoch wieder begonnen mich aktiv mit Hörspielen zu beschäftigen. Ich kann die gängige Machart zum Glück mittlerweile als gewollte, eigenständige Kunstform akzeptieren und mich darauf einlassen.

Es würde mich dennoch freuen, wenn noch mehr Produzenten neue und ungewohnte Stoffe umsetzen und gleichzeitig aber auch die Hörer von sich aus so etwas einfordern, denn letztlich bedient der Markt ja meist das was gewünscht wird.

 

Und nun noch eine Standard-Frage: Brauchst du ein Hörspiel zum Einschlafen?

Nein, ich höre keine Hörspiele zum Einschlafen. Ich bekomme davon leider Kopfschmerzen und schlafe auch viel zu schnell ein, um etwas von der Handlung zu genießen. Ich höre Hörspiele am liebsten in Ruhe im Tonstudio oder unterwegs bei längeren Zug- oder Busfahrten.

 

Sirius, ich danke dir für dieses nette Interview und bin sehr gespannt, was wir in Zukunft alles von dir hören werden!

 


Impressionen


Alle Fotos stammen von Katharina Kraft



Mareike Lümkemann